Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Ruppert Kultur- und Politikgeschichte
Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien

Lesenswert – Texte von Wolfgang Ruppert aus

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Starkünstler und Geduldete - 11. 02. 2016

Im Hamburger Bahnhof in Berlin werden 60 Werke aus der Sammlung der Nationalgalerie gezeigt, die zwischen 1933 und 1945 entstanden sind

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Künstler sind keine besseren Menschen - 10. 11. 2015

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Universität und Kulturgeschichte

Was sagt dieses Foto über die Bedeutung der symbolischen Formen in der Universität der Gegenwart aus?

Mit welchen Mythen korrespondieren die Talare der Professoren? Die immaterielle Kultur der Vorstellungen verbindet sich in ihnen mit einer alten symbolischen Form der materiellen Kultur, einer Bekleidungsform der Würde. Geht von ihnen deswegen so lange eine Faszination aus, weil sie auf eine alte Institution der geistigen Arbeit, des Wissens und der Information verweisen, in der die kognitive Kultur der Moderne hervorgebracht wurde? Ein notwendiger Diskurs?

Diese kulturgeschichtliche Überlegung wirft die Frage nach unserem Verständnis der Universität als kulturellem Bezugsraum auf. Da dieses für die Universität der Künste in seiner Vielschichtigkeit weitgehend unerörtert ist, werden hier einige Texte zur Diskussion gestellt. Sie bewegen sich zwischen der Programmatik der Kulturgeschichte als wissenschaftlichem Fach und einer Erfahrungs- bzw. Erwartungsreflexion.


Wolfgang Ruppert

Einige Stichworte zum Verhältnis von Universität und dem Sinn der Kulturgeschichte

Eine neue Erwartung an die "Würde" der akademischen Feier als eine symbolische Form der universitären Kultur ist auch in Deutschland zu beobachten. Dies kann als ein Indiz für einen zunehmenden Bedarf an Verständigung über den kulturellen Sinn dieses besonderen Ortes in der Gesellschaft gelesen werden, den die Universität darstellt. Die rein technische Funktionsfähigkeit der Universität als Verwaltungsablauf erscheint zwar als eine notwendige und unerläßliche Voraussetzung, nicht nur "zum Scheinerwerb", bedeutsam. Diese für sich genommen sind - gerade auch aus studentischer Sicht - zu wenig und damit unbefriedigend. Die gegenwärtige Stimmung, alle bisherigen Formen, in einer vermeintlichen "Reform", ohne große Überlegung aufgeben und im internationalen Kontext neu ordnen zu wollen, korrespondiert mit dem weitgehenden Fehlen einer Grundsatzdebatte über die Qualität (Dies setzt sich im Extremfall mit Benotungspraktiken wie: jeder bekommt eine 1, symbolisch fort) und Erwartung an die angemessenen sozio-kulturellen Ausdrucks- und Kommunikationsformen. Was aber sind die spezifischen Eigenschaften der Institution Universität und was bedeutet die Verbindung von Forschung und Lehre für die kulturelle Erfahrung im Sinne von "Bildung"?

Damit ist auch die Frage nach dem Ort der Gegenwart in längerfristigen kulturgeschichtlichen Entwicklungen aufgeworfen. Einige Stichworte können dazu beitragen, die wichtigsten Faktoren zu vergegenwärtigen. Um 1968 bildeten die akademischen Rituale und die mit ihnen verbundenen "Talare" der Professoren einen sichtbaren Angriffspunkt als ein materielles Symbol von akademischer Macht. Sie galten als ein nicht länger legitimierter Mantel der "Umhüllung" der Professoren, als den Repräsentanten der modernen Universität, wie sie seit der bürgerlichen Reform des frühen 19. Jahrhunderts entstanden war (Humboldt'sche Vision: "Bildung" des Individuums): "Unter den Talaren steckt der Muff von tausend Jahren" lautete schließlich die in die kollektive Erinnerung eingegangene doppeldeutige Formel. Die Angriffe gegen die autoritäre Ordinarienuniversität zielten in den späten 1960er Jahren vor allem auf ihre Funktion als personale Entscheidungsträger. Die Reformdiskussion um eine Demokratisierung der Entscheidungsvorgänge und eine Verflachung der Hierarchien mündete in die unpersönliche Gremienuniversität der 1970er Jahre, mit ihren vermeintlich "versachlichten" Entscheidungen durch institutionelle Räte (Fakultätsrat) und Kommissionen. Deren Nachteile trugen in den letzten Jahrzehnten zweifellos zur partiellen "Entleerung" der Universität als einem zentralen Ort der "geistigen" Auseinandersetzungen in der Gesellschaft bei.

Universitäre Forschungsprofile werden wesentlich von der Kreativität von Forscherindividuen und ihrer methodischen Innovationskraft bei der Erweiterung von Erkenntnisfeldern geprägt. Deren Entfaltungschancen über arbeitsteilige Forschungsprojekte hängt aber häufig von kommunikativen Anerkennungsverfahren im Dschungel der widersprüchlichen Einzelinteressen von Gremienmitgliedern ab, die allzuoft mit den wissenschaftlichen Inhalten nichts zu tun haben. Darüber hinaus scheint sich dieses Defizit seit den 1990er Jahren noch aus weiteren Gründen verstärkt zu haben. Die Probleme der Massenuniversität mit ihren überfüllten Lehrveranstaltungen wurden aufgrund der mangelnden finanziellen Ausstattung in der "Ära Kohl" zugespitzt. Daß dies so möglich war, geht zweifellos auf eine kulturelle Krise der Gesellschaft zurück. Die Abwertung der schöpferisch-produktiven Arbeit im öffentlichen Sektor im Verlauf der 1980er Jahre zugunsten der unternehmerischen Ertragssteigerung(Ein aussagekräftiges Symbol hierfür ist die unverhältnismäßige Steigerung der Managergehälter) im privaten Sektor verstärkte die "Entleerung der Universität weiter. Hinter dieser Umverteilung der Ressourcen der Gesellschaft stand die ökonomistisch verflachte Ideologie des neoliberalen Denkens. Diese erwies sich jedoch als untauglich, um die komplexen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge der eigenen Gesellschaft hinreichend zu erfassen oder die aktuellen und langfristigen Konflikte im "Globalisierungskontext" zu dechiffrieren, geschweige denn hierfür konfliktmindernde Lösungsangebote entwickeln zu können.

Stattdessen sind mythische Denkmuster und religiöse Kategorien ("das Böse") aus der politischen Kultur "der Rechten" zur Begründung von politischen Machtstrategien, bei der Legitimierung von zuspitzenden und konfliktverschärfenden Freund-Feind-Schemata, sowie zur Verdeckung von wirtschaftlichen Interessen einflußreicher geworden.

Vor diesem Hintergrund scheint die Auseinandersetzung mit den kulturellen Grundlagen unseres Denkens als eine der Schlüsselfragen bei der Zukunftskompetenz zu werden und vor allem zur adäquaten Konfliktbewältigung auf den unterschiedlichsten Ebenen eine Voraussetzung zu sein.
Die "moderne" Universität war immer beides. Sie war zentraler Ort der "geistigen" Arbeit im Sinne von erkenntnisorientierter "Bildung" und der Berufs(aus)bildung. Gerade diese Doppelnatur verlieh ihr in den Gesellschaften Gewicht. Die Eliten schmückten sich in ihren Biographien mit dem Hinweis auf ein Studium an einer der berühmten Hochschulen. Berühmt waren diese Institutionen aber vor allem wegen der Qualität der dort geleisteten Forschung, deren intellektueller Ausstrahlung und einer darauf aufbauenden Lehre, die die Chance zu entsprechender eigener Qualifizierung der Studenten bot.

Forschung ist jedoch ein längerfristiger Vorgang mit arbeitsteiligen Strukturen. Dies setzt die Möglichkeit einer aufbauenden Kontinuität von sich ausdifferenzierenden Arbeitsprozessen - bei Forschenden und Lernenden- in Forschungsschwerpunkten voraus.

Hieran zu erinnern, ist für das Nachdenken über die Bedingungen und Voraussetzungen sinnvoller eigener Arbeit auch an der Universität der Künste unerläßlich. Ist es deshalb nicht geradezu "zweckmäßig", die Utopie eines produktiven und kreativen sozialen Raumes zu konturieren, in dem die Entfaltung der "geistigen" Begabungen von Individuen möglich ist? Gemeint ist damit die Entfaltung von wissensbezogenen Erkenntninteressen und schöpferischen Potentialen gleichermaßen.

Um als Ort der kulturellen Bildung effizient wirken zu können, sollte die Universität einige strukturelle Bedingungen garantieren. Sie sollte

  • als campus, als gemeinschaftsbildender Ort, wahrnehmbar sein (Seminar, Bibliothek, Arbeitsstelle)
  • als Öffentlichkeit und sozialer Raum erfahrbar sein, in dem eine vertiefte intellektuelle Begegnung stattfinden kann.
  • die "geistige" Arbeit (die im Falle der UdK auch die künstlerische Arbeit umfaßt) als ein individuelles Erlebnis der Entdeckung, der Neubestimmung, der Erweiterung fördern und somit als Institution zu einem Segment der Kultur werden.
  • mit der Einheit von Forschung und Lehre (die auch in der Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien voranzutreiben versucht wird) gerade die innovative Kompetenz bei der selbständigen Bearbeitung von kulturellen, gesellschaftlichen, künstlerischen und politischen Fragen fördern und weiterentwickeln.Für die Kulturgeschichte als einem intellektuellen Denkansatz und universitärem Fach läßt sich ein Ensemble von kulturellen Potentialen charakterisieren. Insbesondere demokratische Gesellschaften haben einen existentiellen Bedarf an einer "als Aufklärung" betriebenen Kulturgeschichte. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für eine demokratische Kultur, da sie erst die "Natur", die Merkmale, und die Entstehungszusammenhänge des "Eigenen" und "Fremden" reflexiv zugänglich macht. Sie kann daher die Wahrnehmungsfähigkeit, Reflexionstiefe und ein eigenständiges Urteilsvermögen des Individuums steigern.
  • Sie ermöglicht den Zugang zu einem unendlichen Wissenspotential von kulturellen Objektivationen, die die Menschheit hervorgebracht hat. Daher sind zumindest Kenntnisse der Kulturen, der eigenen Gesellschaft und derjenigen zu denen Handlungsbezüge und Beziehungen bestehen, zu erarbeiten. Diese
  • eröffnet mit der vertieften Einarbeitung in inhaltliche Gegenstandsfelder ein Verständnis für die Komplexität von gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen. Sie vertieft das Verständnis von der Gebundenheit des Menschen an seine Zeiterfahrung, seine gesellschaftlichen Kontexte und kulturellen Voraussetzungen. Sie verdeutlicht und relativiert somit das Verständnis des "Eigenen" und das Selbstverständnis des Individuums. Sie
  • erlaubt es mit problemöffnenden Begriffen die Gegenstandsfelder zu erfassen. Sie stellt mit ihren methodisch-theoretischen Reflexionen über die Aussagefähigkeit von Informationen, über das Lesen von "Spuren" und die Kritik der "Fakten" eine intellektuelle Schulung des Denkens des Individuums dar. Sie
  • ist als "kulturelles Gedächtnis" der Gesellschaft ein Denk- und Handlungspotential, das die Historizität der Gegenwart und damit die Gründe für die empirisch vorfindlichen Formungen, die Bedingungen und den Zustand der Gegenwart erschließbar macht. Sie arbeitet damit an Einsichten, aus denen zugleich Bedingungen für die zukünftigen Entwicklungen und den Vorstellungen hiervon, konturiert werden. Sie
  • erweitert das "kommunikative Gedächtnis", das in der jeweils eigenen sozialen Umgebung der Familie, der Lebenskontexte, der Herkunft, der sozialen Schicht, des Berufes, der Generation, des Geschlechts etc. tradiert wird. Sie vertieft die erlebnisbedingten Bezüge der geographischen Verortung im Stadtteil, der Region, Nation reflexiv und ist somit eine Voraussetzung gerade in der interkulturellen Kommunikation. Sie
  • bindet die Wahrnehmungsfähigkeit nicht in der "nostalgischen" oder narzistischen Verklärung des "Eigenen", des Vergangenen oder nur Tradierten, sondern hilft die unterschiedlichen Bezüge des Lebens der Menschen sowie ihrer Kulturen zu erfassen und reflexiv zu durchdringen. Gerade in Modernisierungsprozessen müssen die in kulturgeschichtlichen Erkenntnisperspektiven gewonnenen Einsichten als Sinn-orientierende Basis für die weitere Ausgestaltung von politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Handlungsspielräumen herangezogen werden. Sie
  • bietet mit ihren Arbeitsprozessen die Chance zur selbstreflexiven Verortung, Neubestimmung und Entwicklung der bewußten Eigenidentität des Individuums. Sie kann darüberhinaus als komplexes Bezugsfeld und Motor für die Sinn - volle Ausgestaltung und Weiterentwicklung der kulturellen Lebensformen in der Gesellschaft verstanden werden.

Die Arbeitsprozesse im Fach Kulturgeschichte ( inbegriffen ist die politische Kultur) und dessen Forschungsschwerpukte sind eingebettet in die Potentiale von interdisziplinären Bezugsfeldern, die nicht Gesellschaft und Kultur künstlich voneinander separieren (Dies ist ein Defizit der "cultural studies"). Sie beziehen sich vielmehr auf die Formen, in denen die Menschen ihr Leben gestalten. Dies umfaßt Lebensformen, Arbeit und Politik gleichermaßen. In diesem Verständnis sind Alltagskultur, "Hochkultur" (bild.Kunst, Theater,etc.) und politische Kultur gerade in ihren Interdependenzen Thema.

Februar 2003

 


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