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Wolfgang Ruppert
Plädoyer für den Begriff der industriellen Massenkultur
Mit diesem Text plädiere ich für einen Begriff, dem für ein
bisher weitgehend vernachlässigtes Feld der Kulturgeschichte
Erschließungskraft zuerkannt werden kann.
*
Dieses Plädoyer stützt sich auf zwei Publikationen des Autors, Ruppert, W., Zur Geschichte der industriellen Massenkultur. Überlegungen zur Begründung eines Forschungsansatzes, in: ders. (Hg.), Chiffren des Alltags. Erkundungen zur Geschichte der industriellen Massenkultur, Marburg 1993, S. 9-22, und ders. (Hg.), Fahrrad, Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, Frankfurt am Main Main 1993, darin insbesondere ders., Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, S. 14-36.
Er zielt darauf, einen Zugriff
zu konkretisieren, der markante Erscheinungen unserer modernen Lebenswelt
erfassen soll, die, soweit sie überhaupt Beachtung fanden, verschiedenen
Wissenschaftszweigen zugeordnet und dabei in ihrem inneren Zusammenhang
separiert worden sind, so daß ihre Wirkungskontexte und Bedeutungen
unerforscht blieben. Meine Argumentation erfolgt dabei in drei Schritten: Im
ersten wird der Gegenstand umrissen, in einem zweiten werden einige
Implikationen des Begriffes diskutiert, in einem dritten der Vorzug dieses
integrativen Konzeptes am Beispiel der sogenannten Designgeschichte
reflektiert.
I.
Im letzten Jahrzehnt ist das Interesse an einem Gebiet der modernen Lebenswelt
gewachsen, das bis dahin weitgehend in einem wissenschaftlichen Niemandsland
lag. Dies gilt in besonderer Weise für die Dinge und Zeichen
*
Die Zeitschrift "Werkstatt Geschichte" widmete ihr Heft 7 (= Diskurs-Experimente), 3. Jg. 1994 innovativen Forschungsansätzen. Darin ein Arbeitsansatz,der den semiotischen Wandel von Straßenräumen untersucht:S. Guckel-Seitz, Stadtreklame als Text. Die(se) Geschichte mit der Semiotik, S. 18-30 .
, die als
materielles und visuelles Inventar der sozialen Räume der industriellen
Moderne
*
Ich bezeichne mit dem Begriff der "industriellen Moderne"
diejenigen gesellschaftlichen Aspekte, "die im Gefolge der Industrialisierung und ihrer forcierten Arbeitsteiligkeit
entstanden sind, und gerade auch die industriell gefertigten Objekte der materiellen Kultur", vgl. Ruppert, Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, in: Ruppert, Fahrrad, S. 27.
vorzufinden sind und mit der Architektur die "objektive Kultur"
bilden.
Ein inspirierender Impuls zur beginnenden Erforschung dieses Feldes ergab sich
aus den innovativen Perspektivenbildungen der Alltagsgeschichte.
*
Seit Ende der 1970er Jahre wurden der Alltagsbegriff und die Alltagsgeschiche in zahlreichen Publikationen kommentiert und programmatische Varianten entworfen. Hier kann nur beispielhaft hingewiesen werden auf den SammelbandLüdtke, A. (Hg.), Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt 1989, auch Hartwig, W., Alltagsgeschichte heute. Eine kritische Bilanz, in: Schulze, W. (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994, S. 19-32.
Bei Studien,
die den lokalbezogenen Raum, die Geschichte "vor Ort", zum Gegenstand hatten,
die Themen der Industriegeschichte oder der Industriearchäologie
bearbeiteten, entwickelte sich an den entdeckten Spuren, den musealisierten
materiellen Artefakten, Fotographien und unerschlossenen Zeugnissen, ein
geschärfter Blick auf die großteils außerhalb einer reflexiven
wissenschaftlichen Bearbeitung verbliebenen Felder der modernen Zivilisation.
*
Ruppert, W., Die Fabrik. Geschichte von Arbeit und Industrialisierung in Deutschland, München 1983 (1994); ergänzend zur Aussagefähigkeit von Fotographien als Quellen für die Analyse historischer Orte ders., Photographien als sozialgeschichtliche Quellen. Überlegungen zu ihrer adäquaten Entschlüsselung am Beispiel der Fabrik, in: Geschichtsdidaktik, 11. Jg. 1986, H. 1 (= Geschichte erfahren), S. 62-76, insbesondere S. 63; vgl. auch: Reif, H., "Wohlergehen der Arbeiter und häusliches Glück" - Das Werksleben jenseits der Fabrik in der Fotographie bei Krupp, in: Tenfelde, K. (Hg.), Bilder von Krupp. Fotographie und Geschichte im Industriezeitalter, München 1994, S. 105-122, und Föhl, A., Zum Innenleben deutscher Fabriken - Industriearchitektur und sozialer Kontext bei Krupp, ebd., S. 159-180.
Die neue Wahrnehmung führte dazu, daß sich unsere Aufmerksamkeit nicht
allein auf die Historizität der Zeichen und deren semantische Kontexte
richtete, sondern diese zunehmend als vielschichtig präsente,materielle
Hinterlassenschaften der Alltagskultur und somit als Objektivationen des
menschlichen Handelns erkannt wurden.
In dieser Sicht erschienen die Ensembles der materiellen Kultur als in den
sozialen Räumen abgelagerte Objektivationen eines sich beständig
modernisierenden Bedarfs
*
Ein anregender essayistischer Versuch zur Analyse der kulturellen Muster, die in diesem Innovationsbedürfnis wirken: Groys, B., Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, München 1992.
an gestalteten Objekten, von Geräten, Apparaten
und stofflichen Materialien, von Artefakten des Konsums der kommerziellen
Güter, der Formen der Produktion und des Vertriebs von Waren, der damit
verbundenen Reklamezeichen und des Design, der Objekte des Verkehrs und anderes
mehr.
Diese materiellen und visuellen Zeugnisse des Alltagslebens wurden in der
Geschichtswissenschaft bislang allenfalls punktuell bearbeitet, da sie vom
verbreiteten Quellenbegriff nicht erfaßt wurden und zudem in den
verselbständigten Traditionen der Fachgebiete keinen systematischen Ort
hatten.
Das Konzept der Objektgeschichte erfordert somit auch ein neues methodisches
Verständnis, das den Charakter der lebensweltlichen Kontextbezüge in
den Objektensembles erschließt sowie die kulturellen Bedeutungen und
chiffrierten Informationsgehalte offenlegt. Die Objekte selbst und die
Gebrauchsformen des Alltagslebens,
*
Beispielsweise zur Evolution des Gebrauchs von Eßwerkzeugen: Petroski, H., Messer Gabel Reissverschluß. Die Evolution der Gebrauchsgegenstände, Basel 1994, S. 25f.
für die sie geschaffen wurden, sind
in der modernen Lebenswelt in die Wechselbezüge des kommunikativen Handelns
und des Güteraustausches eingewoben und daher als Ausdruck des
zivilisationsgeschichtlichen Innovationsprozesses zu bestimmen.
In diesem Verständnis können die Objekte als Quellen für die
Produktionsvorgänge und die dahinterstehenden Vorstellungen behandelt
werden, da in ihr Erscheinungsbild Zeichen und symbolische Formen eingeschrieben
sind, die Informationen über ihre Entstehungsorte beinhalten. Sie tragen in
den epochentypischen Codes und ästhetischen Mustern des Designs eine
kulturelle Semantik der jeweiligen Zeitkontexte in sich, die auf die
Gebrauchskonventionen und die Wunschproduktion der alltäglichen
Lebensgestaltung zurückverweisen. Der damit thematisierte Bezug zwischen
den historischen Subjekten und dem Ensemble ihrer Dinge muß somit als eine
komplexe Subjekt-Objekt-Beziehung, oder - wie manche Kommentatoren meinen - als
Subjekt-Subjekt-Beziehung,
*
Sabean, D., Die Produktion von Sinn beim Konsum der Dinge, in: Ruppert, Fahrrad, S. 39.
behandelt werden.
Aus diesem Ansatz leitet sich meine These ab: Wenn wir die Dinge und Zeichen als
Objektivationen eines sozial strukturierten und kulturell geformten menschlichen
Handelns verstehen, so öffnet sich hiermit ein integrativer Zugriff, der
den inneren Zusammenhang von Kultur-, Gesellschafts-, Technik- und
Wirtschaftsgeschichte offenlegt. Die Artefakte können als ein Ausdruck des
Handelns von historischen Akteuren gelesen werden, die diese für die
Gebrauchszwecke der Arbeits- und Alltagsgestaltung,
*
Eine frühe Studie mit explorativem Wert: Giedion, S., Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte, Frankfurt am Main 1982, dort zur Mechanisierung des Haushalts S. 557ff.
für die Mitteilungs-
und Informations-absichten, die kulturellen Konventionen sowie den symbolischen
und ästhetischen Bedarf ihrer Lebensumwelt hervorbrachten und angeigneten.
Folglich sind die konkreten Objektgeschichten als ein integraler Teil der
Lebensgestaltung der Menschen in der Kultur der industriellen Moderne zu
analysieren, so daß ein Forschungskonzept das Geflecht von sozialen und
kulturellen Beziehungen der Gesellschaft einschließen muß, in denen
die kulturellen Objektivationen Bedeutungen annehmen.
*
Zur Entstehung von Bedeutungen der Objekte in der sozialen Kommunikation und kulturellen Praxis vgl. Ruppert, W., Der verblassende Reiz der Dinge. Die Produktion von Bedeutung als Teilschicht der Objektgeschichte in der industriellen Massenkultur, in: Kuhn, G. /Ludwig, A. (Hrsg.), Alltag und soziales Gedächtnis. Die DDR-Objektkultur und ihre Musealisierung, Hamburg 1996.
Das Programm der Objektgeschichte sollte daher die Bearbeitung von drei
Schichten der industriellen Massenkultur gleichermaßen umfassen:
1. Die Produktion der Dinge.
Ein auf die Abläufe der industriellen Arbeitsteiligkeit gerichteter Zugriff
erfaßt die materiellen Objektivationen als mit den Arbeitsvorgängen
der Produktion verwoben, in der die Teilschritte der Konzeption, der
Konstruktion, der Gestaltung und der Fertigung von industriellen Dingen
aufeinander folgen. Die Objektgeschichte wird hierbei in einem beachtlichen
Maße von der Logik der ökonomischen Rationalität und den
strategischen Interessen der Wirtschaft strukturiert, die auf den Verkauf ihrer
industriellen Produkte hinarbeitet und mit diesen Kalkülen entsprechende
Inszenierungen der Warenästhetik entwickelt. Auf der Basis der
betriebswirtschaftlichen Rationalität zielen die daraus resultierenden
Formen der verbalen und nonverbalen Kommunikation in der Regel darauf, die
alltagspraktischen Muster des möglichen Gebrauchs mit den Mitteln der
Werbung zu illustrieren und in einer zivilisationsgeschichtlichen Beziehung so
zu erweitern, daß sie als innovative Bilder der menschlichen Wünsche
Akzeptanz erlangen.
*
Anschauungsmaterial bei Kriegeskorte M., Werbung in Deutschland 1945-1965. Die Nachkriegszeit im Spiegel ihrer Anzeigen, Köln 1992; am Beispiel des Autos, Sachs, W., Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche, Reinbek b. Hamburg 1990, S. 203ff.
2. Der Umgang mit den Dingen.
Eine darüber hinausreichende Perspektive muß den Umgang der
historischen Subjekte mit den Dingen beschreiben und ihre semantische
Verwobenheit mit den Strategien des Konsums offenlegen. Hierzu sind die Formen
der sozialen Aneignung in der Lebensgestaltung, die Muster des Gebrauchs, aber
auch die kulturelle Besetzung mit Bedeutungen zu zählen. Die Prozesse des
Güteraustausches werden von den Individuen als Teil von Konventionen der
symbolischen Kommunikation und der Rituale in den modernen Gesellschaften
vollzogen und meist in unbewußten Wahrnehmungen der visuell gestalteten
Interaktion vermittelt.
3. Der Ort der Dinge in der Geschichte der Zivilisation.
Darüberhinaus ist die Historizität der industriellen Dinge, ihr Ort im
Ablauf der Zeit ,vor der Folie eines zivilisationsgeschichtlichen Vergleiches
von Modernisierungsvorgängen in der Geschichte der Alltagskulturen zu
bestimmen.
Behandelt man die dokumentierbaren Dinge und ihre Kontexte in dieser Weise als
Quellen für die Alltagsgeschichte der Subjekte, so verschränken sich
diese drei Schichten der Objektgeschichte in ihnen zu einem integralen Teil der
kulturellen Moderne. Am Beispiel des Automobils kann man dieses
Ineinandergreifen der technischen "Erfindungen" und der industriellen
Produktion, mit den sozialen Interaktions- und Aneignungsformen,
alltagskulturellen Codierungen und zivilisationsgeschichtlichen Bedeutungen
anschaulich nachvollziehen.
*
In meiner Studie: "Das Auto. 'Herrschaft über Raum und Zeit'"", in: Ruppert, W. (Hg.), Fahrrad, S. 119-161 war ich bemüht, diese Schichten im Objekt offenzulegen.
Wenngleich die mangelnde Konturierung der Alltagsgeschichte wiederholt zu Recht
kritisiert wurde,
*
Seit den 1980er Jahren wurde verschiedentlich eine Tendenz zu historisierender Nostalgie und Theorieverzicht in der Alltagsgeschichte bemängelt. Programmatische Überlegungen zur Reformulierung der Alltagsgeschichte: Marßolek, I. und v. Saldern, A, Historiographische Experimente, in: Geschichtswerkstatt H. 7, S. 5.
plädiere ich mit dem Begriff der industriellen
Massenkultur für ein innovatives Konzept zu deren Präzisierung, in der
Absicht insbesondere diejenigen Sachverhalte der Alltagskulturen in Beziehung zu
setzen, die sich zwischen den Polen erstens der Geschichte der industriellen
Produktion, zweitens der Distribution, der Reklame, des Marketings und drittens
der Geschichte des Konsums bewegen.
Zur Erfassung dieser Zusammenhänge erscheint mir der Begriff der
industriellen Massenkultur auch deswegen adäquat, weil er sowohl die
materielle als auch die immaterielle Kultur der industriellen Moderne umgreift
und die Forschungsperspektive insbesondere auf das mit der Industrialisierung
einhergehende und für die Objektwelt des 19. und 20. Jahrhunderts dominant
gewordene strukturelle Phänomen der Seriellität und der "technischen
Reproduzierbarkeit"
*
Vgl. zuerst am Beispiel der Fotografie, Benjamin, W.,
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1963.
lenkt. Damit werden diejenigen kulturellen
Phänomene integriert, die mit den industriell gefertigten, vertriebenen und
im Alltagshandeln angeeigneten Objekten einhergehen. Dies schließt durchaus
eine Pluralität von Wahrnehmungen, aber auch voneinander abgegrenzte
Erfahrungsräume der historischen Subjekte ein, wie sie mit der
Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Gruppen, Generationen und
Geschlechtern, zu Schichten und Klassen definiert werden sowie mit den
Differenzierungen von spezialisierten Positionen in der industriellen
Arbeitsteiligkeit produziert werden, die sich in der Interaktion der
Gesellschaft ergänzen.
In diesen Kontexten der industriellen Massenkultur entfalten sich die
Kalküle und Praktiken der Produzenten und der Konsumenten als soziale
Akteure mit unterschiedlichen Interessen, im kommunikativen Austausch: Die
Handlungsperspektive der Produzenten, die auf den Absatz der Güter unter
Gewinnorientierung zielt und hierzu adäquate Stilisierungen des
Warenangebots verlangt, um Käufer zu finden. Hier hat die
künstlerische Produktgestaltung ihren strukturellen Ort, mit der der
Austausch der Güter befördert und die Beziehung zwischen den
Attraktionen der Waren
*
Philosophisch-ekklektizistisch und unter kulturwissenschaftlichen Aspekten überholt: Haug, W.F., Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main 1971, z.B. Modellierung der Käuferwelt, S. 91ff.
sowie den Aneignungswünschen durch die
potentiellen Käufer ästhetisch vermittelt wird. Die neuentstandenen
Strategien des Design,
*
Insbesondere in der Folge der Weltwirtschaftskrise setzten sich in Amerika in den 1930er Jahren neuartige Konzepte der Warenästhetisierung durch. Beispielhaft ist diese Entwicklung an der heroisierten Figur des Industriedesigners Raymond Loewy zu studieren, vgl. Schönberger, Angela (Hg.), Raymond Loewy. Pionier des Amerikanischen Industriedesign, München 1990.
der Reklame und des Marketing wurden im 20.
Jahrhundert von Spezialistenberufen mit besonderen Kompetenzmustern erarbeitet.
In dieser Vermittlungsfunktion gewannen die Praktiker der Werbung weitreichende
Bedeutung für die moderne Zivilisation, indem sie in strategischer Absicht
attraktive Bilder hervorbrachten, um die Eigenschaftszuschreibungen und
Gebrauchswertversprechen des Konsums den potentiellen Käufern
gegenüber zunächst verbal und bald vor allem visuell zu
präsentieren. Doch zugleich verbanden sich mit dieser ästhetischen
Produktion und ihrer Formenwelt auch weiterreichende Wirkungen auf die
Alltagskultur der gesellschaftlichen Lebenswelt, in der sich die Menschen als
Konsumenten die industriellen Objekte mit Bedeutungen aneignen, mit ihnen
umgehen und in dialektischen Verarbeitungsvorgängen ihren Lebensraum
gestalten.
Aus den dargelegten Gründen zielt unser Erkenntnisinteresse daher sowohl
auf die monographische Rekonstruktion der jeweiligen Objektgeschichten und
-ensembles wie auch darüber hinausrei-chend auf die Thematisierung der
komplexen Muster des Umgangs mit den Dingen, wie sie sich in der empirischen
Lebenswelt als ein "Gewebe"des Austausches von Gütern vorfinden.
In diesem Konzept der industriellen Massenkultur sind somit die Alltagsrituale
und -erfahrungen, die modernen Mythen und Symbole als Teil der Geschichte der
Moderne eingeschlossen, ebenso die Folgen des Verbrauchs dieser industriellen
Objekte und Ressourcen, wie sie sich als Umweltgeschichte darstellen.
*
Häufig erscheint die Umweltgeschichte noch allzu offen und in ihrer Konzeptualisierung unentwickelt. Als Dokumentation eines interesssanten Ausstellungs- und Lehrprojektes an der Universität Basel zur Umweltgeschichte dieser Region: Andersen, A. (Hg.), Perlon, Petticoats und Pestizide. Mensch - Umwelt - Beziehung in der Region Basel der 50er Jahre, Basel 1994. Allgemein Brüggemeier, F.-J./Rommelpacher, Th. (Hrsg.): Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, München, 21989; Abelshauser, W. (Hg.): Umweltgeschichte. Umweltverträgliches Wirtschaften in historischer Perspektive, in: Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 15, Göttingen 1994.
Der Phantasiereichtum, wie er in einer Vielfalt von entsprechenden Distinktionen
in den polyvalenten Umgangsweisen der historischen Subjekte mit den Dingen und
den ihnen zugeordneten Mustern sichtbar ist, hat seine Ursache in der
dynamischen Spannung zwischen einerseits der normativen Seriellität, wie
sie in der Arbeitsteiligkeit der modernen Gesellschaft hervorgebracht und
reproduziert wird, und andererseits den ständig stattfindenden
Individualisierungen, die die Subjekte im Alltagshandeln vollziehen. Um die
Aneignungspraktiken der nach sozialen Schichten, Klassen, Genus, Generationen
oder kulturellen Gruppen unterschiedlich geformten Subjekte ebenso erforschen zu
können und diese von den kulturellen Prozessen und Objektivationen zu
unterscheiden, die diese überwölben, scheint es notwendig, einen
Pluralismus an Strategien zu entwickeln, der der Vielfalt der Artefakte
angemessen ist. Deren Erschließungskraft muß an der Adäquanz
für die theoretischen Fragestellungen oder am jeweiligen empirischen
Gegenstandsfeld beurteilt werden.
Im Sinne einer innovativen Forschungsstrategie müssen daher allzu
pragmatische empirische Verfahren als defizitär betrachtet werden, sofern
sie den inneren Zusammenhang vorschnell zerschneiden und unkenntlich machen.
Vielmehr sind angemessene Operationalisierungen, begriffliche Instrumente und
solche Arbeitsverfahren zu erproben, die die Vielschichtigkeit der kulturellen
Prozesse, der Distinktionen und komplexen Bedeutungsvalenzen sichtbar machen und
in ihren Differenzierungen erfassen können. Den Königsweg eines
zentralperspektivisch-monologischen Zugriffs scheint es nicht zu geben, der, im
Sinne eines widerspruchsfreien Modells, den komplexen Zusammenhang
erschließen könnte, in dem dieser Austausch der Menschen mit den
Ensembles ihrer Dinge sich fortwährend transformiert.
II.
Mit den Gegenständen der Objektgeschichte wird eine alte Tabugrenze der
deutschen Historikerzunft berührt, die unsere defizitäre
Ausgangsbilanz erklärt. Sie begann sich im letzten Jahrzehnt
aufzulösen. In der Folge dieser mentalen Vorprägungen, die als ein
Erbe der bildungsbürgerlichen Wahrnehmungkonventionen und der darin
erwachsenen geistesgeschichtlichen Bedeutungsverengungen zu betrachten sind,
wurden - meist unreflektiert - zahlreiche Phänomene des alltagskulturellen
Lebens als wenig bedeutsame "Zivilisation" ausgegrenzt,
*
Elias, N., Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd.1, Frankfurt/Main 1976, S. 42 hat auf die Bedeutung der Hierarchisierung von "Kultur" und "Zivilisation" für das nationale Selbstbewußtsein des deutschen Bürgertums aufmerksam gemacht. Dieser Befund wirft Fragen nach den im habituellen Unterbewußtstein "der Historiker" weiterwirkenden kulturellen Faktoren auf, die als Ursachen für diese geistesgeschichtliche Einengungen des Wahrnehmungs- und Interessenhorizontes auszumachen sind. Neben diesen kulturellen Mustern des Berufshabitus, die in den zünftischen Traditionen angelegt sind, können allerdings auch forschungspragmatische Gründe benannt werden, die in der Komplexität des Phänomens und seiner häufig nicht eindeutigen,"schillernden" Natur selbst liegen, weshalb "scharfe" begriffliche Abgrenzungen nicht zu erreichen oder das Modell einer Logik der unterstellten Kalküle methodisch nicht adäquat erscheint.
so daß die
visuelle Kultur und die kommerziellen Bilder, die ästhetischen Zeichen und
die Formen der Dingwelt in der industriellen Moderne in der wissenschaftlichen
Bearbeitung vernachlässigt blieben.
*
Zur Einbettung in den Kulturbegriff vgl. Ruppert, Fahrrad, S. 22.
Selbst nach dem Paradigmenwechsel
zur Sozialgeschichte der sechziger und siebziger Jahre, wie er mit den
großen erkenntnisleitenden Konzepten einer Strukturgeschichte der
Modernisierung, der sozialen Bewegungen oder der sozialen Schichtung vollzogen
worden war,
*
Vgl. beispielsweise Kaelble, H. u.a., Probleme der Modernisierung in Deutschland. Sozialhistorische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Opladen 1978.
blieben diese wichtigen Teilbereiche einer Kultur- und
Gesellschaftsgeschichte der Moderne als mental "fremde" Territorien aus dem
wissenschaftlichen Diskurs ausgegrenzt, obgleich deren Bedeutung bei einer
näheren Reflexion der eigenen Lebenserfahrung auch der Forscher kaum
hätte bestritten werden können.
In der Regel resultieren die so entstandenen "blinden Flecken" in unserem
Geschichtsbild aus einer methodischen Hilflosigkeit gegenüber den
"flüchtigen" kulturellen Phänomenen der kommerziellen Moderne. Hinzu
kam das Wissen um das Versagen der konventionellen Zugriffe und heuristischen
Instrumente, so daß ein auch den nonverbalen kulturellen Realitäten
des 19. und 20. Jahrhunderts adäquates Verständnis von
Wissenschaftlichkeit einzufordern bleibt, das neben den zweckrationalen
Dimensionen des modernen Lebens ebenso die Geschichte der kulturellen Codes, der
symbolischen Bedeutungen sowie die visuelle Erscheinung des Designs von Objekten
in der modernen Lebenswelt einbezieht.
Die defizitäre Forschungssituation korrespondiert mit einem Mangel an
Reichweite der Begriffe, wie sie durchaus auch für die Begriffe Konsum und
Konsumgesellschaft gilt. Diese wurden mit sehr unterschiedlichen Akzentuierungen
historisch lokalisiert. Beispielsweise beschrieb Roman Sandgruber die Geschichte
besonderer Konsumwaren im 18. und 19. Jahrhundert.
*
Sandgruber, R., Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genußmittel, Wien 1986.
Michael Wildt
thematisierte die Formen des Konsums in den 1950er Jahren.
*
Wildt, M., Am Beginn der "Konsumgesellschaft". Mangelerfahrungen, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnungen in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg 1994.
Für diese
Zeitphase wurde jüngst in der Perspektive der Umweltgeschichte vom Beginn
der "konsumistischen Epoche der Verschwendergesellschaft" gesprochen.
*
Andersen, A. und Tanner, J., Die Gleichzeitigkeit von Sparsinn und Wegwerfmentalität. Die 1950er Jahre als Auftakt zur Umweltkrise der Gegenwart, in: Andersen 1994, S. 134, übernehmen die Interpretation der 1950er Jahre als eine "Epochenschwelle" der Mensch-Umwelt-Beziehung mit dem gravierenden Anstieg der Wachstumskurven von Güterproduktion und Ressourcenverbrauch.
Ganz anders war der Begriff Konsum im Kontext der sozialdemokratischen
Arbeiterbewegung lange Zeit als ein gesellschaftspolitischer Terminus mit den
Idealen der solidari-schen Selbsthilfe aufgeladen.
*
Vgl. Sywottek, A., Konsumgenossenschaften,
in: Ruppert, W. (Hg.), Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag und Kultur von der Frühindustrialisierung bis zum "Wirtschaftswunder", München 1986, S. 298-306.
Die auf dem
Organisationsmodell der genossenschaftlichen Konsumvereine beruhende
Einkaufsgenossenschaft hatte als Distributionsform auch antikommerzielle
Implikationen, mit dem Ziel, die Waren des Alltagsbedarfs durch kollektiven
Einkauf soweit wie möglich zu verbilligen und somit für
Niedrigverdiener in günstigerer Weise verfügbar zu machen. Wenn man
die Selbstproduktion für den Eigenbedarf nicht als Teil eines
Konsumzusammenhangs begreift, so scheint mit dem Begriff Konsum ein spezifischer
Aspekt innerhalb des kommerziellen Austausches von Gütern in der
Arbeitsteiligkeit moderner Industriegesellschaften bezeichnet: Der Begriff
Konsum benennt die sozialen und ökonomischen Praktiken der Subjekte bei der
Aneignung von Waren oder Dienstleistungen zum Zwecke des Verbrauchs, wie dies
beispielsweise in Bezeichnungen wie "langlebige Konsumgüter" deutlich wird.
In diesem Sinne kann die Konsumgeschichte die historischen Formen des Angebots
von Waren auf dem Markt und deren Aneignung umfassen. Er erscheint jedoch von
allzu eingeschränkter Reichweite und schwindender Erklärungskraft zur
Konzeptualisierung des oben beschriebenen Gegenstandsfeldes.
Allerdings sind die begrifflichen Implikationen von sozialen und kulturellen
Aneignungsprozessen selbst zu hinterfragen. David Sabean hat auf die
heuristischen Probleme aufmerksam gemacht, die mit dem Begriff der
Bedürfnisse und der materiellen Objektivationen zu ihrer Befriedigung
einhergehen, und vor einem zu engen Verständnis gewarnt, das die Sicht auf
den Konsum des bür-gerlichen Individuums reduziert.
*
Sabean, S. 38.
Er hat gezeigt,
daß bereits in der europäischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts die
"Zirkulation der Güter in Begriffen der Kommunikation" betrachtet werden
muß und der Konsum in die Formen des sozialen Handelns und die kulturellen
Muster der Selbstverständigung der Subjekte integriert war, wie dies
beispielsweise am Karneval zu zeigen ist. In der Konsequenz dieser Perspektive
bindet sich die qualitative Aussagefähigkeit des Begriffs Konsum an
unterschiedliche kulturelle Konventionen, in denen das Selbst produziert wird,
und deren Transformationen mit dem gesellschaftsgeschichtlichen Wandel
einhergehen.
Gerade wenn man die ursprünglich für die Sozialgeschichte
erkenntnisleitenden Fragestellungen nach den Strukturentwicklungen von
langfristiger Dauer, die im Basisprozeß der Industrialisierung wurzeln, um
die Betrachtung der sozialen Akteure und deren kulturell geformtes Handeln sowie
deren Erfahrungshaushalt erweitert, ist ein umfassenderer begrifflicher Rahmen
notwendig, als ihn das Konzept der Konsumgesellschaft zu bieten vermag.
Mit welchen Begriffen aber könnten in Abgrenzung zu früheren
historischen Phasen diejenigen kulturellen Phänomene und Materialisierungen
bezeichnet werden, die mit den Strukturen der seriellen industriellen Produktion
entworfen, planvoll hervorgebracht, zweckorientiert produziert oder als
Materialien so umgeformt wurden, daß sie Teil der sozialen und materiellen
Kultur und des kommerziellen Austausches von Gütern in der Gesellschaft
wurden?
Interessanterweise hat bereits Friedrich Nietzsche, der Kritiker der
Modernisierung der bürgerlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts, von einer "industriellen Cultur" gesprochen,
*
Reschke, R., "Pöbel-Mischmasch" oder vom notwendigen Niedergang aller Kultur. Friedrich Nietzsches Ansätze zu einer Kulturkritik der Massen, in: Krenzlin, N. (Hg.), Zwischen Angstmetapher und Terminus. Theorien der Massenkultur seit Nietzsche, Berlin 1992, S. 16.
womit er den
überragenden strukturierenden Einfluß der gründerzeitlichen
Industrialisierung auf die Umformungen der zeitgenössischen Kultur gemeint
haben mag. Diese Begriffssynthese von Industrie und Kultur wurde auch
später in anderen Versionen fortgeführt. 1978 publizierte der
Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg ein Katalogbuch zu einem Forschungs- und
Ausstellungsprojekt unter dem Titel "Industriekultur. Peter Behrens und die
AEG".
*
Buddensieg, T. und Rogge, H., Peter Behrens und die AEG 1928-1914, Berlin 1979.
Sein Erkenntnisinteresse war dabei auf die künstlerische
Gestaltung der industriellen Produktion gerichtet, wie sie um 1906 von dem
"angewandten" Künstler Peter Behrens in einem Auftragsverhältnis zum
elektrotechnischen Konzern AEG entwickelt worden war. Um Behrens wurde seither
der Mythos des ersten "Industriedesigners" aufgebaut, da er die Gestaltung von
industriellen Produkten wie Lampen, Wasserkesseln, Ventilatoren etc. für
die serielle Massenfertigung übernommen hatte. Ferner wurde sein Entwurf
der Fabrikhalle für die Turbinenfertigung an der Brunnenstraße in
Berlin-Wedding als ein Paradigma für moderne Industriearchitektur
beschrieben.
Neben dieser semantischen Setzung eines Begriffs von "Industriekultur" zur
Bezeichnung der künstlerischen Gestaltungsprozesse von industriellen
Massengütern oder der Architektur der Produktionsorte schien der Begriff
1978/79 jedoch auch tauglich, um die sozialgeschichtlichen Fragestellungen und
kulturellen Aspekte der Industriegesellschaft ins Blickfeld zu bringen.
Der Begriff der Industriekultur bezeichnete in dieser erweiterten Version sowohl
die kulturellen Formen der Industriegesellschaft als auch die Wechselbeziehungen
von industrieller Arbeit, Lebenswelt und Kultur.
*
Vgl. Ruppert, W., Industriekultur in Deutschland. Das Beispiel der Region Nürnberg, in: ders. (Hg.): Erinnerungsarbeit. Geschichte und demokratische Identität in Deutschland, Opladen 1982, S. 135ff., zuerst in: Denkschrift der Stadt Nürnberg, Nürnberg im Maschinenzeitalter Nürnberg 1978 (broschierter Selbstdruck des Schul- und Kulturreferates).
Der in diesem Sinne
eingeführte Begriff schien zunächst problemöffnende Kraft zu
besitzen. Er half, die bislang unbeachteten vielschichtigen kulturellen
Phänomene der Industriegesellschaft in ihren empirisch faßbaren
Kontextbezügen zu beschreiben, allerdings in einer assoziativen
Unbestimmtheit, die häufig in narrativen Darstellungen auslief.
Doch wie sollte man dieses Gegenstandsfeld schärfer fassen, ohne in die
übliche reduktive Spezialforschung der historischen Wissenschaften
zurückzuverfallen?
Als ich Ende der 1980er Jahre erneut begann, ein Forschungsfeld aus diesem
Bereich der materiellen, visuellen und symbolischen Kultur der Moderne und ihrer
Objektivationen abzustecken, ent-schloß ich mich zu jenem Begriff von
eingeschränkterer Reichweite:
*
Als Bemerkung zunächst in: Ruppert, W., "Eigner Herd ist Goldes wert". Dingliche Lebenswelt, in: ders. (Hg.): 1986, S. 205; ders.: Zwischen Arbeiterkultur und industrieller Massenkultur. Zur Bedeutung der "Anschaffungen" seit dem "Wirtschaftswunder", in: Kulturgeschichte als Forschungs- und Sammelauftrag, hg. von der Sektion Kultur und Ästhetik der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1989 (zugleich als Mitteilungen und Materialien, Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum, H. 31/1990 Hochschule der Künste Berlin), S. 146-151; unter diesem Begriff veranstaltete ich vom 15.-17.Mai 1990 eine Arbeitstagung an der Hochschule der Künste Berlin, vgl. Ruppert, Chiffren und Ruppert, Fahrrad.
Der Begriff der industriellen
Massenkultur schien besser geeignet, jenen "interdisziplinären" Rahmen zu
bezeichnen, in dem sich zweckrationale Handlungsketten und kulturell-symbolische
Beziehungen im Prozeß des Konsums vermitteln. Dieser Begriff erfaßt
die vielschichtigen Aspekte und Praktiken des Alltags der Individuen in der
modernen Gesellschaft, zwischen den Polen der industriellen Produktion und dem
Umgang mit den Dingen, wie auch die immateriellen Leitbilder des modernen Lebens
in ihren sozialen Bedeutungen sowie die ästhetische Bildlichkeit und
Gestalt, soweit sie sich auf die materielle Kultur bezieht. In diesem
Spannungsfeld von sozialer Typenbildung und Individualisierungen gewinnen die
gesellschaftlichen Handlungsmuster und kulturellen Internalisierungen ihre
Kommunizierbarkeit. Sie gehen mit dem Austausch der kommerziellen Güter
einher und sind in die Erfahrungsgeschichte der historisch geformten Subjekte
eingeschrieben.
Damit ist auch jene dialektische Wechselbeziehung zwischen der materiellen und
der immateriellen Kultur eingeführt, in der die Vorstellungen, Bedeutungen,
Rituale, Praktiken der Alltagsgestaltung zueinander vermittelt sind und die
Formen des Umgangs der Subjekte mit den Objekten der materiellen Kultur ihre
Sinnzuweisungen erhalten.
Im englischsprachigen Diskurs hat der Begriff Massenkultur bereits eine
längere Tradition.
*
Vgl. die verschiedenen Perspektiven auf den Begriff "Massenkultur", Band, H., Massenkultur versus Angestelltenkultur. Siegfried Kracauers Auseinandersetzung mit Phänomenen der modernen Kultur in der Weimarer Republik; Pehls, R., Die Moderne und die Massen. Die Reaktion amerikanischer Intellektueller auf die populäre Kultur in den dreißiger Jahren und in der Nachkriegszeit; Hertel, T., Von der "Massenzivilisation" zur "Kulturindustrie". Theodor W. Adornos Zuwendung zur "Massenkultur"-Thematik, alle in Krenzlin, 1992.
Zweifellos ist der in diesem Zusammenhang genannte
Begriff "Massen" durch seine verschiedenartigen historischen Verortungen
belastet. Er wurde im 19. Jahrhundert mit dem neuen Phänomen der
Verdichtung von Menschenansammlungen in den Großstädten, aber auch der
großen Zahl von Arbeitern in den Fabriken verbunden und in Reaktion hierauf
im Bürgertum als "Angstmetapher" einer als bedrohlich empfundenen
Entindividualisierung benutzt.
*
Vgl. Reschke, S. 23.
In der kulturkritischen Tradition des
Bürgertums stand die "Vermassung" in der Folge für diejenigen
Erscheinungen der kulturellen Moderne, von denen es sich mit den Mitteln der
distinktiven Unterscheidung der Individualität abgrenzte.
Demgegenüber wurde in der sozialistischen Arbeiterbewegungskultur und der
kommunistischen Weltdeutung der Begriff der "Massen" affirmativ-euphemistisch
für die Konstruktion des zielgerichtet formierten Subjektes verwandt, das
im Sinne des gesellschaftlichen "Fortschrittes" zu wirken versprach und in
seiner Individualität als Teil eines Kollektivs eingebunden wurde.
Mit diesem Plädoyer für die Begriffsvariante "industrielle
Massenkultur " werden diese obsoleten Konnotationen aufgrund der historischen
Entwicklung vernachlässigt. Stattdessen werden in der vorgeschlagenen
Begriffssynthese diejenigen Phänomene der industriellen Moderne betont, die
mit der Seriellität der Produktion von Gütern und der hieraus
folgenden kulturellen Konsequenzen einhergehen, wie der hohen Bedeutung von
überindividuellen Stereotypen oder die ästhetischen Muster der
Gestaltung, die nicht nur in die industrielle Formierung von Arbeit, sondern
auch in die Prozesse der Aneignung eingeschrieben sind.
III.
Ein Beispiel: Die Designgeschichte als Kultur- und Gesellschaftsgeschichte
Im Rahmen dieses Plädoyers ist es äußerst aufschlußreich,
die Wirkung von Paradigmen des Denkens zu benennen. Welche Folgen sich aus dem
Desiderat eines integrativen Zugriffs ergaben, können wir am Beispiel der
sogenannten "Designgeschichte" ersehen. Die Gegenstände, die ihr zugeordnet
sind, werden traditionell zwischen den Begriffen Kunst, Technik, Industrie und
Marketing lokalisiert. Über lange Phasen hinweg wurden die damit
bezeichneten ästhetischen Erscheinungen und Arbeitsprozesse im 20.
Jahrhundert unter dem Begriff der Gestaltung subsumiert.
*
Die beiden für die Moderne programmatisch einflußreichsten Hochschulen des 20. Jahrhunderts führten diesen Begriff in ihrer der Institutionenbezeichnung: Das Bauhaus. Hochschule für Gestaltung, von 1919 bis 1924 in Weimar, 1925 bis 1932 in Dessau, 1933 in Berlin, und "Die Hochschule für Gestaltung" in Ulm 1953 bis 1968.
Soweit sich
wissenschaftliche Forschung hierzu entwickeln konnte, blieb sie vor allem
abbildend-beschreibenden Zugriffen verhaftet, ohne die Bezüge zu
Gesellschaft und Kultur hinreichend darstellen zu können. Die Ursache
für diesen engen Betrachtungshorizont liegt in einer begrifflich
abgeschnittenen Sichtweise, die ausschließlich Formentwicklungen wahrnahm
und zur Ausblendung der kulturellen Semantik und der gesellschaftlichen Kontexte
führte. Die tatsächlichen Vernetzungen der Objektkultur, wie sie
zwischen Kunst und der Ästhetik des alltäglichen Gebrauchs variieren,
blieben verborgen, wenngleich sie über den Konsum der Dinge als Teil der
visuellen Kultur der Lebensräume und des Dinggebrauchs im sozialen
Handlungszusammenhang praktiziert werden. Diese Abspaltung vom
alltagskulturellen Kontext läßt sich als das Ergebnis der
Übertragung eines geistigen Konstruktes erklären, das sich am
Autonomieideal der Kunst und des Künstlers orientierte. Das
solchermaßen vereinseitigte Paradigma der ästhetischen Wahrnehmung
hatte die Vernachlässigung der faktisch gegebenen Einlagerungen in die
historische Konfiguration zur Folge.
*
Es ist das Verdienst des französischen Soziologen Bourdieu, die "Wiedereingliederung des Ästhetischen" programmatisch betrieben zu haben, vgl. Bourdieu, P., Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main 1982, S. 26 "Die Wissenschaft vom Geschmack und vom Kulturkonsum beginnt mit einer - mitnichten ästhetischen - Übertretung: Sie hat jene sakrale Schranke niederzureißen, die legitime Kultur zu einer separaten Sphäre werden läßt, um zu jenen intelligiblen Beziehungen vorzudringen, die scheinbar isolierten 'Optionen': für Musik und Küche, Malerei und Sport, Literatur und Frisur, zu einer Einheit fügen."
Versteht man unter dem Begriff Design diejenige Stilisierungsleistung, die in
die visuelle Erscheinung und Formung eines Objektes eingeschrieben wurde, so ist
nach der historischen Semantik der darin enthaltenen kulturellen Muster und
assoziativen Bedeutungskontexte zu fragen. Deren Zeichenwerte sind nicht
zufällig, sondern sie wurden in Beziehung zu den epochentypischen
Geschmackspräferenzen als Inbegriff der ästhetischen Adäquanz
oder der visuellen Attraktivität entworfen. Design ist in dieser
Perspektive als ein integraler Teil der materiellen Kultur, der Objektgeschichte
und des sozialen Austausches von Gütern im Alltagskontext zu bestimmen. Die
ästhetische Form der Dinge entsteht keineswegs autonom, sondern sie wird
auf die zweckrationalen Bezüge hin gestaltet, wozu die Verkaufsinteressen
der Hersteller, die Möglichkeiten der industriellen Fertigungsprozesse,
aber auch die Aneignungsmuster der Käufer, die Praktiken des Gebrauchs
sowie die epochentypischen Geschmackskonventionen zählen. Diese
Komplexität des Geflechtes von kulturellen, industriellen und
ästhetischen Faktoren wurde bislang in der wissenschaftlichen Bearbeitung
des Designs und der Objektkultur nur unzureichend berücksichtigt, so
daß die daraus folgende Einbettung in die historische Forschung weitgehend
fehlte. Dies kann nur im Kontext der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte
geschehen.
Es sind drei unterschiedliche Formen der bisherigen "Designgeschichte" in
Deutschland zu unterscheiden. Sie leiten sich aus jeweils divergierenden
Fachtraditionen und -interessen her, deren "eigensinnige" Binnensichten eine
integrative Behandlung blockierten.
Die erste Version: In der Tradition der "angewandten Kunst" galt die
indu-strielle Formgebung aufgrund der im 20. Jahrhundert dominierenden
Verbindung des Designs mit der Industrie von der Zuordnung zu
Wissenschaftsfächern her lange Zeit als ein Randbereich der
Kunstgeschichte. Diese "angewandte Kunst" fand dann eine Bearbeitung, wenn die
Entwurfstätigkeit auf ausgewiesene Künstler zurückging.
*
Als Beispiel für den Typ einer werkmonographischen Aufarbeitung: Manske, B. und Scholz, G. (Hg.), Täglich in der Hand. Industrieformen von Wilhelm Wagenfeld aus sechs Jahrzehnten, Bremen 1987.
Das
anonyme Design der Dinge blieb in diesem Konzept weitgehend vernachlässigt,
zumal eine tiefergehende Erforschung der gesellschaftlichen oder kulturellen
Zusammenhänge vom Selbstverständnis des Faches Kunstgeschichte her
nicht gefördert wurde, da deren Zentrierung am Verständnis des
Kunstwerkes und den Begriffen der Autonomie der schöpferischen Arbeit sowie
der künstlerischen Originalität des Unikats erkenntnisleitend blieb.
Bei Designentwürfen handelt es sich überwiegend um arbeitsteilige
Entwurfsprozesse für die serielle Massenproduktion mit einer gebrochenen
Provenienz innerhalb eines Rahmens von Zweckrationalität , weshalb dieser
industrielle Prozeß der Herstellung von Objekten der materiellen Kultur
außerhalb des Horizontes der Kunstgeschichte blieb. Die gesellschaftlichen
Bezüge, wie sie in der Vernetzung von Arbeitsteiligkeiten im
Industrialisierungsprozeß oder den alltagsbezogenen
Geschmacksprägungen des konsumierenden Käuferpublikums wirksam waren,
wurden in diesem Zugriff allenfalls fragmentarisch zugelassen. Selbst die
Arbeiten Tilmann Buddensiegs hielten letztlich am Kunstbegriff fest.
*
Vgl. Buddensieg,T. (Hg.), Die nützlichen Künste, Berlin 1981.
Eine
bemerkenswerte Ausnahme stellt eine innovative kulturwissenschaftliche Studie
Martin Warnkes zur Geschichte der Couchecke dar, in der die Wandlungen der
Gebrauchsformen und der Organisationsmuster von Wohnobjekten unter dem
Einfluß der Aneignung des Fernsehers erkundet worden waren.
*
Warnke, M., Zur Situation der Couchecke, in: Habermas, J. (Hg.), Stichworte zur "Geistigen Situation der Zeit", Bd. 2, Frankfurt/Main 1979, S. 683-687.
Die zweite Version: Dieser dominante Einfluß des Paradigmas der Kunst als
wahrnehmungsstrukturierende Kategorie hatte ein Pendant im programmatischen
Habitus der Gestalter selbst. Deren Selbstverständnis war überwiegend
auf den konventionellen Künstlerbegriff mit dem Gestus der
schöpferischen Intuition und dem individuellen Originalitätsstreben
bezogen, aber zugleich einer starken Verwurzelung im Handwerk verpflichtet, als
einem Bezugspunkt ihrer ästhetischen Produktion. In ihrer Mehrzahl
beschäftigten sie sich ohnehin nur insoweit mit Designgeschichte, wie diese
als Fundus von Anregungen und Vorbildern für die eigene Entwurfspraxis
interessieren konnte.
Die aus diesem Interessenshorizont der Designer entstandene
Publikationstätigkeit zielte auf die Ausarbeitung von theoretischen
Instrumenten für die Arbeit der Entwerfer hin, bestenfalls noch auf die
reflexive Beschreibung des Umfeldes der Entwurfsgegenstände. Dieses
Interesse wurde von den ökonomischen Zielsetzungen der eigenen Berufs- und
Geschäftstätigkeit im Rahmen von Aufträgen gebremst. Selbst bei
der Veröffentlichungspraxis im Umfeld des Werkbundes oder der Ulmer
Hochschule für Gestaltung stand die qualitätsfördernde
Normenbildung im Vordergrund, auch wenn sie auf die Verbreitung
ästhetischer Muster in der Gesellschaft gerichtet war, mit der die "gute
Form" ihren Ort in der materiellen ästhetischen Alltagskultur finden
sollte.
*
Diese Geschmackspropaganda begann mit der Kunstgewerbebewegung des 19. Jahrhunderts und fand in ihrer "modernen" Version für die funktionalen Gestaltung in den Jahrbüchern des Werkbundes ein einflußreiches Medium, Vgl. Jahrbücher des Deutschen Werkbundes 1912 bis 1920, exemplarisch: Der Verkehr, Jena 1914.
Die normative Unterscheidung von Geschmackspräferenzen und ihr
Ausdruck in gelungenen Formvarianten ordnete die Struktur dieses Diskurses.
Ferner war bereits seit den 1860er Jahren des 19. Jahrhunderts in der Tradition
der staatlichen Gewerbeförderung den damals neuartigen kunstgewerblichen
Sammlungen die Aufgabe der Geschmacksbildung an der Anschaulichkeit
vorbildlicher Objekte übertragen worden.
*
Mundt, B., Die deutschen Kunstgewerbemuseen im 19. Jahrhundert, München 1974; Cleve, Ingeborg: Geschmack, Kunst und Konsum. Kulturpolitik als Wirtschaftspolitik in Frankreich und in Württemberg (1805-1845), Göttingen 1996.
Seit den 1920er Jahren
entstanden im Sinne der sich vom Historismus absetzenden "modernen Bewegung"
für die Objekte der "guten Gestaltung" eigenständige Sammlungen, die
zugleich diesen gesellschaftlichen Auftrag der Geschmackspropaganda
fortführten.
*
Zum Beginn vor 1914: Münchner Sammlung - für angewandte Kunst. Berichte der Tagespresse 1913, München 1913; zum Entwicklungsstand der 1950er und 60er Jahre: Eckstein, H., Die Neue Sammlung, München (1964); zusammenfassend Wichmann, H., Industrial Design - Unikate - Serienerzeugnisse. Die Neue Sammlung. Ein neuer Museumstyp des 20. Jahrhunderts, München 1985.
Erst in den späten sechziger und frühen
siebziger Jahren setzte mit dem Entstehen eines neuen Typs von Ausstellungen
insofern eine neue reflexive Form der Designgeschichte ein, als die
Präsentation nicht mehr allein der Veranschaulichung von ästhetischen
Formen am Objekt diente. Nunmehr erhielten die Ausstellungskataloge der Neuen
Sammlung München unter ihrem Direktor Wend Fischer neben der Funktion der
Präsentation von gelungenen Beispielen als Medium dieser Innovation auch
die der Dokumentation von Materialien, die als Ausgangspunkt der Theoriebildung
zu einem historisch-kritischen Verständnis der Objektkultur hinführen
sollten.
*
Vgl. Fischer, W. (Hg.), Zwischen Kunst und Industrie, der Deutsche Werkbund, Die Neue Sammlung, Ausstellungskatalog, München 1975 (Neudruck Stuttgart 1987). Dessen Vorgänger, der Kunsthistoriker Hans Eckstein, verfaßte als Alterswerk ein Resumeé seiner eigenen Sammlungs- und Ausstellungsarbeit seit den 1950er Jahren.
Eine dritte Version: Erst in den späten siebziger und achtziger Jahren
bildete sich eine weitere Form der Designgeschichte mit gesteigertem
wissenschaftlichen Systematisierungsanspruch heraus, die von einer
verstärkten Öffnung der Kunstpädagogen für die
ästhetischen Erscheinungen der Alltagsobjekte in der eigenen Gegenwart
geleitet war. Aus dieser Beschäftigung mit der dort dominierenden
industriellen Form entstand nun ein neuer Typ von Arbeiten zu einer
Designgeschichte, die an der Rekonstruktion der Formgeschichte von industriellen
Objekten interessiert war. Allerdings litten diese Darstellungen darunter,
daß die durchaus angestrebte wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtliche
Rückbindung lediglich auf dem Stand der in den gesellschaftskritischen
Theoriedebatten verhafteten Literatur der siebziger Jahre zurückgreifen
konnte und häufig einer plakativ verstandenen politischen Ökonomie
verhaftet blieb. Gerd Selles Buch "Designgeschichte in Deutschland" beschrieb
zuerst die Phasen der Objektgestaltung im 19. und 20. Jahrhundert und fragte
nach der Ideologie der Entwerfer.
*
Gerd Selle folgte der Entwicklung von Denkweisen in den 70er und 80er Jahren mit grundlegenden Umarbeitungen: Selle, G., Die Geschichte des Design in Deutschland von 1870 bis heute. Entwicklung der industriellen Produktkultur, Köln 1978; ders.: Design-Geschichte in Deutschland. Produktkultur als Entwurf und Erfahrung, Köln 1987; neuerdings ders., Frankfurt am Main 1994.
Ähnlich angelegt erschien 1983 eine
Geschichte der "industriellen Ästhetik" von Bernd Meurer und Hartmut
Vincon, die in ihrem Betrachtungshorizont jedoch ungleich stärker auf
kapitalistische Verwertungsprozesse reduziert war.
*
Meurer, B. und Vincon, H., Industrielle Ästhetik. Zur Geschichte und Theorie der Gestaltung, Gießen 1983.
Während die Designgeschichte in Deutschland auf diese drei Versionen
begrenzt blieb, die lediglich ein ausdifferenziertes Fachpublikum erreichten,
entwickelten sich im internationalen Diskurs andere Zugriffe. Interessante
Beiträge zur designgeschichtlichen Forschung, die diesen Gegenstand als
einen integralen Teilbereich der Kulturgeschichte behandelten, wurden von
amerikanischen und englischen Historikern vorgelegt.
*
Exemplarisch für diesen breiteren Gegenstandsbegriff von Historikern: Campbell, J., Der Deutsche Werkbund 1907-1934, Princeton 1978, deutsche Ausgabe: München 1989; Sparke, P: An Introduction to Design and Culture, London 1986; Smith, T.: Making the Modern. Industry, Art and Design in America, Chikago and London 1993.
Bei deutschen
Historikern gewannen designgeschichtliche Themen erst im letzten Jahrzehnt an
Beachtung. In breiter angelegte Epochendarstellungen wurden Hinweise auf
epochentypische Formen aufgenommen, doch mangels befriedigender theoretischer
Konzepte, die eine tragfähige historische Erklärung und Synthese
ermöglicht hätten, blieb dieses Interesse meist auf die Annotation
beschreibender Bemerkungen oder auf beigestellte und meist isolierte Texte von
Designhistorikern beschränkt.
*
So Selle G.:Das Produktdesign der 50er Jahre:Rückgriff in die Entwurfsgeschichte,vollendete Modernisierung dess Alltagsinventars oder Vorbote mlder Postmoderne, in Schildt, A. und Sywottek, A. (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993.
Ein wesentlicher Impuls für die sich deutlich abzeichnende Öffnung zur
Erforschung der Objektgeschichte ging von der veränderten mentalen
Wahrnehmung der 1980er Jahre und einer neuen Aufgeschlossenheit für die
visuelle Anschaulichkeit der Objektwelt aus, wie sie sich in den vielbeachteten
historischen Ausstellungen mit breiter Öffentlichkeitswirkung und
Prägekraft für das kollektive Gedächtnis niederschlug. In solchen
Konzepten, die sich an der sinnlichen Eindrucksfähigkeit des historischen
Dokuments orientierten, wurde nun einzelnen Objekten der Rang von Symbolen
für die Zeiterfahrung zugewiesen. Mithilfe eines Arrangements von
Objektensembles wurden Impressionen zu kul-turgeschichtlichen Zeitabschnitten
entworfen oder auch die lebensgeschichtliche Erfahrung chiffriert, wie sie
für unterscheidbare soziale Orte markierbar war und in der visuellen
Begegnung mit den tradierten Dingen erinnert werden konnte.
*
Ein frühes Beispiel für eine solche Inszenierung entwickelte der Verfasser für die erste Ausstellung des Centrums Industriekultur in der Norishalle der Stadt Nürnberg 1980. Hier diente beispielsweise ein Motorrad dazu, die berufsnotwendige Mobilität eines Versicherungsagenten der späten 1920er Jahre zu veranschaulichen; vgl. Ruppert, W. (Hg.), Lebensgeschichten. Zur deutschen Sozialgeschichte 1850 bis 1950, Opladen 1980, S. 153.
Mit diesem Mentalitätswandel öffneten sich die Sammlungskonzepte
zahlreicher Museen für die Objekte der Alltagsgeschichte. Sie wurden in
ihrem epochencharakterisierenden Aussagegehalt des Designs ebenso wahrgenommen
wie in ihren sozialgeschichtlichen Aussagewerten.
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Beispielsweise: Werkbund-Archiv. Museum der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts; entsprechende Abteilungen im Deuschen Historischen Museum Berlin und Germanischen National Museum Nürnberg sowie in zahlreichen Heimatmuseen.
Wie dargelegt, plädiere ich in Weiterführung dieses verbreiteten
Interesses an den Objekten als Spuren der Alltagswelt für die
verstärkte wissenschaftliche Erforschung dieses Feldes der materiellen
Kultur der Moderne im Kontext einer neuen Kulturgeschichte. Hierfür
erscheint mir der Begriff der "industriellen Massenkultur" mit seiner integralen
Erschließungskraft am besten geeignet, um das Konzept für eine
reflexive Forschungspraxis auszuformulieren.
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